Nachruf für Hannelore Poré (19.12.1938 – 11. Mai 2024)

Am 11. Mai 2024 verstarb unsere Kandidatin Hannelore Poré im Alter von 85 Jahren. Bei einer bewegenden Trauerfeier in der Glockenkelter nahmen viele Menschen Abschied von ihr – ehemalige KollegInnen, MitbewohnerInnen & VertreterInnen der Diakonie Stetten, Menschen aus dem Dorf, VertreterInnen der Vereine & Organisationen, in denen Hannelore aktiv mitwirkte.

Im folgenden die Trauerrede, die der PFB- und Allmende-Vorsitzende Ebbe Kögel bei der Trauerfeier hielt:

Es ist ungefähr 20 Jahre her, dass Hannelore und ich uns kennengelernt haben. Damals war ich Bademeister im Freibad in Stetten und sie kam immer zum Schwimmen. Ihre große Leidenschaft.

Und wie sie so ist, wie sie war – müssen wir ja jetzt sagen – hat sie bald angefangen, mir zur Hand zu gehen, beim Putzen, beim Aufräumen, beim Karton zerreißen – und wurde so Teil dieser kleinen Freibadgemeinschaft, die sich immer im Sommer gebildet hat.

Wo ich dann in Rente ging, fühlte sie sich nicht mehr so wohl und wechselte dann ins Naturbad, zum SIN-Bad Verein, wo sie von Frühjahr bis Herbst jeden Morgen zum Schwimmen ging. Bei Wind und Wetter.

Wo sie dann bei mir im Freibad war, dauerte es nicht lange, dann kam sie auch zu unseren Allmende-Veranstaltungen – ich glaube, es gibt niemanden (außer mir), wo wie sie bei fast allen Veranstaltungen dabei war. Dasselbe gilt für die Veranstaltungen (und Sitzungen) von K21 Kernen (das ist ein Verein zur Förderung des ÖPNV und für die Barrierefreiheit) und des Parteifreien Bündnisses PFB. Und zwar nicht nur zum Helfen – normalerweise hätte sie heute die Tischdecken auf die Tische gelegt, nach der Tischdekoration geguckt, Gläser und Besteck besorgt. Und so weiter. Nein, sie half nicht nur im Hintergrund, sondern hörte intensiv den Vorträgen zu und beteiligte sich aktiv an den nachfolgenden Diskussionen. In den letzten Jahren war es dann auch üblich geworden, dass sie traditionell jeweils die den Vortragsabend abschließende Frage stellte.

Doch das war noch nicht alles. Mehrere Male schrieb sie Briefe an PolitikerInnen auf Landes- und Bundesebene.

In einem 2014 verfassten Brief an Frau Merkel heißt es: „Das können auch die Schwerbehinderten nicht verstehen, wenn Ihr das Pflegepersonal nicht ausreichend bezahlen wollt, weil ihr den Euro so abgewertet habt. Ihr sprecht zwar dauernd vom Sparen, aber überall wird das Geld sinnlos zum Fenster hinausgeschmissen, zum Beispiel fürs Militär.“ Eine Antwort darauf hat sie nie erhalten.

2016 schrieb sie an Ministerpräsident Kretschmann zu demselben Thema: „Weil Sie über Stuttgart regieren und alles anders machen wie die CDU … Wir brauchen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, weil wir sehr viele sind, wo Hilfe brauchen. Die können sich nicht selbst versorgen, darum, Herr Landesvater, müssen Sie uns helfen“.

Immerhin hat sie auf diesen Brief eine Antwort bekommen, auch wenn ihre Hoffnung, dass der Landesvater es anders macht wie die CDU, sich leider nicht erfüllt hat.

Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass sie 2019 (und jetzt wieder 2024) beim Parteifreien Bündnis PFB für die Wahl zum Gemeinderat Kernen kandidierte.

Meines Wissens das erste Mal, dass eine Bewohnerin einer „Anstalt“ für ein Kommunalparlament kandidiert. Nicht nur in Kernen, sondern überhaupt.

Stichwort „Anstalt“: Da hatte sie tatsächlich das „Pech der frühen Geburt“ und wurde ein Opfer der Umstände, in die sie hineingeboren wurde. Wir haben im Film einiges dazu gehört.

Heutzutage könnte sie ganz anderes gefördert werden und würde wahrscheinlich nicht mehr in einer „Anstalt“ landen, sondern könnte ein eigenständiges Leben führen. So wie sie es weitgehend die letzten Jahre ihres Lebens auch gemacht hat.

Sie hatte besondere Fähigkeiten, vor allem im Bereich Hauswirtschaft: sie konnte nähen, bügeln, sticken, stricken, häkeln, erlernt in den einzelnen Abteilungen der Anstalt, wo sie in ihrem langen Arbeitsleben gearbeitet hat.

Sie hatte ein phänomenales Gedächtnis für Orte und Personen. Zur Vorbereitung des Films bin ich mit ihr ihre Fotoalben der vergangenen 70 Jahre durchgegangen. Sie kannte noch alle Orte und alle Personen. Sowohl die Hunderte von Namen ihrer Mitbewohnerinnen wie auch der MitarbeiterInnen, mit denen sie es zu tun hatte.

Ebenso ungewöhnlich ist, dass Hannelore zu einer Person der Zeitgeschichte wurde. Nicht nur durch das biographische Interview vom letzten Jahr und den darauf aufbauenden Allmende-Film „Ich bin ein freier Mensch“, den wir letztes Jahr im Oktober uraufgeführt haben. Sondern auch 2018 durch die Mitarbeit an dem Buchprojekt von Gudrun Silberzahn-Jandt „…und da gab’s noch ein Tor, das geschlossen war“, über Alltag und Entwicklung in der Anstalt Stetten 1945 bis 1975“, in dem sie ausführlich über ihre Erfahrungen berichtet.

Sowie 2018 durch die Erfassung ihres Lebensweges im Rahmen des Projekts „Missbrauch in der Heimerziehung“ des Landes Baden-Württemberg, damals durch Helmut Reder betreut. Wo sie dann auch eine Entschädigung erhielt.

Es ist ein kleines Wunder, dass sie – trotz allem, was sie erlebt und erlitten hat – in der Lage war, darüber hinwegzukommen, etwas zu entwickeln, was heute in der Wissenschaft als „Resilienz“ bezeichnet wird. Also die Anpassungsfähigkeit, sich durch widrigste Lebensumstände durchzukämpfen und nicht daran zu zerbrechen.

Geholfen hat ihr dabei sicherlich der Öffnungsprozess, den die Diakonie in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat. Und der Familienanschluss, den sie durch meine Familie und durch die „Mops-Familie“ von Andreas und Frauke erhielt, von der wir ja vorher gehört haben.

Hannelore starb am Samstag, den 11. Mai 2024, nach einem Herzinfarkt. Sie wurde 85 Jahre alt.

Nach dem Film:

Was uns bleibt, ist die Erinnerung an einen ungewöhnlichen Menschen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie nicht mehr ist und dass sie nicht gleich zu Tür hereinkommt, mit dem neuesten Speiseplan vom La Salle oder mit der Frage, ob sie etwas helfen kann.

Mit dem Text des Liedes „Übers Meer“ von Rio Reiser bringe ich die Hoffnung zum Ausdruck, dass wir uns einstens wiedersehen. Ich weiß nicht wo, aber bin überzeugt davon, dass es so sein wird.

Rio Reiser – Übers Meer

Tag für Tag weht an uns vorbei
Bringt das Boot in den Wind
Nur ein Kuss und ein Tag im Mai
Sei nicht traurig, mein Kind
So viele Jahre und so viele Sterne
Ist es wohl her
Seit wir draußen sind auf dem Meer

Sonnenblumen und Löwenzahn
Hab’ ich lang nicht gesehen
Nur die Wellen des Ozeans
Und so viel ist geschehn
Wie viele Himmel und wie viele Länder
Ist es wohl her
Seit wir draußen sind auf dem Meer

Sing ein Lied für den Ozean
Sing ein Lied übers Meer
Und ich singe ein Lied für dich
Wird das Herz mir auch schwer
So viele Tage und so viele Stürme
Müssen vergehen
Doch wir werden uns wiedersehen (1x wiederholen)

Rio Reiser, 1950-1996, Sänger von Ton Steine Scherben + „König von Deutschland“ schrieb dieses Lied 1987

Hannelore Poré auf ihrem Balkon im Wildermuthhaus, beim Drehen ihrer Film-Biographie “Ich bin ein freier Mensch”, Foto Hans-Martin Fischer/Allmende