Zynisch, laut Großes Wörterbuch der deutschen Sprache: „eine gefühllose und menschenverachtende Haltung zum Ausdruck bringen“]
Zwei in Kernen wohnhafte Flüchtlinge wurden in den letzten Monaten Opfer von Abschiebemaßnahmen des baden-württembergischen Innenministeriums bzw. der Landesregierung.
Am 12.12.2019 traf es den in Rommelshausen lebenden Kelvin Akuanyionwy. Er wurde an seinem Arbeitsplatz bei der Bäckerei Schöllkopf in Waiblingen von der Polizei zur Abschiebung abgeholt. Beim Kofferpacken in seiner Unterkunft in der Seestraße flüchtete er in Panik. Sein Aufenthalt ist seither unbekannt. (Die WKZ berichtete).
Sowohl sein Arbeitgeber wie auch verschiedene Landtagsabgeordnete und der Bürgermeister der Gemeinde Kernen setzten sich für Kelvin ein. Der hiesige AK Asyl richtete am 14. Februar 2020 eine Petition für seinen Verbleib an den Landtag von Baden-Württemberg. (Der Antrag ist zwar angekommen, eine Antwort steht hier noch aus).
Am 20.2.2020 schickte der Gemeinderat von Kernen (mit der Unterschrift von 19 von insg. 22 GemeinderätInnen) einen Brief an den Innenminister, mit der Forderung, die Abschiebungen von Flüchtlingen, die in der hiesigen Wirtschaft arbeiten, einzustellen.
Mit Datum vom 26. März 2020 erhielt nun das PFB, das federführend den Brief der GemeinderätInnen an das Innenministerium weitergeleitet hatte, eine Antwort vom Amtschef des Innenministeriums, Herrn Andreas Schütze. (Siehe Anhang).
In seinen
Ausführungen versteckt sich Herr Schütze hinter
dem geltenden Ausländerrecht. Er erwähnt, dass das Land bereits im Vorgriff die
Regelung der “Beschäftigungsduldung” angewandt habe. Nicht erwähnt
wird dabei aber, dass fast kein Flüchtling die mit der Einführung des § 60 d
AufenthG eingeführte 12-monatige “Vorduldungszeit” erfüllt. Darauf
haben Sachverständige bereits im Anhörungsverfahren deutlich hingewiesen.
Die CDU/SPD Bundesregierung und die Mehrheit im Bundestag setzte sich darüber
hinweg, mit mehrheitlicher Unterstützung der Abgeordneten aus
Baden-Württemberg. So schaffte man bewusst mit der Frist eine Hürde, die es
ermöglichte, auch langjährig Beschäftigte abzuschieben. Gleichwohl wurde behauptet
– wider besseres Wissen – “Wir helfen den Unternehmen”.
Menschen wie Kelvin A. und Ismaeil M. (siehe Ausführungen weiter unten) und ihre Arbeitgeber wurden Opfer dieses
durchschaubaren und unsinnigen Verhaltens. So schadet mensch den Unternehmen,
die seit Jahren Geflüchtete beschäftigen, schadet den integrierten Geflüchteten
und schadet der gesamten Volkswirtschaft!
Es ist lobenswert, wenn nun diese Fehler korrigiert werden sollen, indem die
ganze Aufenthaltszeit im Bundesgebiet berücksichtigt wird. Doch ist das auch
glaubwürdig? Wann hat das Land denn die Bundesratsinitiative ergriffen? Wie
sind die Erfolgsaussichten? Wenn das Innenministerium wirklich ernsthaft diesen
Fehler beseitigen wollte, dann fragen wir: Warum können Kelvin A. und alle anderen,
die alle Kriterien der angestrebten Regelung erfüllen, nicht vorerst -bis zur
Entscheidung im Gesetzgebungsverfahren- weiter im Land bleiben?
Nicht mehr merkwürdig, sondern zynisch wird es dann, wenn Herr Schütze schreibt: „Herr A., für den Sie sich einsetzen, ist jedoch seit Dezember 2019 unbekannten Aufenthaltes, nachdem er sich der behördlichen Anordnung des Ausreisegewahrsams widersetzte. Die Erteilung einer Beschäftigungsduldung kommt daher in seinem Fall nicht in Betracht“.
Der Zynismus dieser Aussage besteht darin, dass, wenn sich Herr A. dem Ausreisegewahrsam nicht widersetzt hätte, er jetzt nicht mehr da wäre.
Dann wäre es ihm so ergangen wie dem Flüchtling Ismaeil Muhammadi, der im Februar morgens aus seinem Zimmer in Rommelshausen abgeholt und sofort in den Iran abgeschoben wurde. Er war ebenfalls gut integriert und war seit Juni 2019 ein wertvoller Mitarbeiter der Firma Delta in Rommelshausen. (Siehe WKZ vom 3.4.2020 „Ärger über nächste Abschiebung“)
Im Iran kam Ismaeil A. zuerst mal in Einreisehaft und musste von seiner Familie gegen eine Kaution von 5.000 Euro ausgelöst werden. Seither hat er mit großen psychischen Problemen zu kämpfen.
Uns sind mindestens drei weitere Flüchtlinge bekannt, die bei Kernener Firmen arbeiten und einen ähnlichen Rechtsstatus wie die beiden oben genannten haben. Auch sie stehen auf der „Abschussliste“ und müssen nun in ständiger Angst vor einer Abschiebung leben. Zwar finden wg. Corona seit April 2020 keine Abschiebungsflüge mehr statt. Aber diese können jederzeit wieder aufgenommen werden.
So bleiben die Beteuerungen von Innenministerium und Landesregierung zur Unterstützung der heimischen Wirtschaft (die diese Arbeitskräfte dringend benötigt) reine Lippenbekenntnisse.
Das behördliche Verhalten ist kalt, zynisch und unmenschlich.